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80. Montagsgespräch am 17. 12. 2001 im Musiklabor, Luisenstraße 37a, München

Jutta Köhler referiert über

Das Prinzip der Kohärenz in Physik, Sprache, Musik und Malerei

Physik

Physiker arbeiten zur Zeit an Quantencomputern, die aufgrund kohärenter Oszillationen der Quantenzustände ihrer Bauelemente, die durch Schaltprozesse gesteuert werden, hochgradig parallele Rechnerarchitekturen darstellen und deshalb sehr viel schneller als klassische Computer sind. Quantenrechenschritte sind aufgrund ihrer Kohärenz immer reversibel, während beim klassischen Computer gewöhnlich auch irreversible Schritte verwendet werden. Im klassischen Rechner ist der Anfangszustand durch eine einzige Zahl charakterisiert, am Ende wird dieser ein Endzustand zugeordnet. Im Gegensatz dazu kann man bei Quantensystemen aber eine beliebige Superposition aller Zahlen erzeugen. Diese Superpositionen, d.h. alle Zustände parallel, können entsprechend den Regeln des Programms manipuliert werden, was zum Beispiel zur Faktorisierung großer ganzer Zahlen (Shorscher Algorithmus) benötigt wird um Nachrichten zu verschlüsseln. Eine Phasenkohärenzzeit (2 ns), wie sie für Josephson Systeme gefunden wird, sollte ausreichen, um eine recht große Zahl der benötigten Manipulationen durchführen zu können. Die Erhaltung der Phasenkohärenz ist eines der technischen Probleme, die es noch zu lösen gilt, bevor solche Computer in ferner Zukunft tatsächlich zum Einsatz kommen.

Die Schrödinger Gleichung ergibt Wellenfunktionen zusammen mit ihren Aufenthaltswahrscheinlichkeiten, welche über den Raum diffus sind. Wenn aber diese Wellen kohärent mit genau definierten Phasen addiert werden, so wird die Wahrscheinlich­keitsverteilung räumlich lokalisiert. Das daraus resultierende Wellenpaket wird mit der de Broglie Wellenlänge bezeichnet und hat die essentiellen Eigenschaften eines klassischen Teilchens: eine Trajektorie in Raum und Zeit mit einer definierten (Gruppen) Geschwindigkeit und Position - auf atomarer Größenskala. Chemische Reaktionen laufen auf der Femtosekundenskala so ab, daß ihre Bindungen kohärent schwingen, bevor eine Reaktion abläuft. Solange die molekularen und ensemble Kohärenzen nicht zerstört werden, ist die Bewegung des Ensembles so wie eine Trajektorie eines einzelnen Moleküls.

Atomlaser bestehen aus kohärenten Materiewellenstrahlen und haben viel Ähnlichkeiten mit Lichtlasern. Ein Atomlaserstrahl kann im Prinzip über seine gesamte Ausdehnung, die im Millimeter- bis Zentimeterbereich liegt, phasenkohärent sein.

Supersymmetrie ist eine ungewöhnliche Symmetrie bei der Teilchen mit Integer Spin wie Bosonen und Teilchen mit halbzahligem Spin wie Fermiionen austauschen. Bosonen sind die Träger der Kräfte und Fermiionen sind Masseteilchen, deshalb beschreibt die Supersymmetrie die Wechselwirkung zwischen Kraft und Materie. In einer supersymmetrischen Welt wird das Konzept der Raum-Zeit durch die neue physikalische Einheit des Superraumes ersetzt. Neue Dimensionen eröffnen sich nach A x B = - B x A.

"Underlying many disparate patterns, we believe there is a set of overarching principles that can lend a unified perspective." Bakterien haben kooperative Verhaltensweisen und Kommunikationsfähigkeiten, die auf einer direkten physikalischen Wechselwirkung von Zelle zu Zelle über membrangebundene Polymere beruht; z.B. die kollektive Produktion von extrazellulärer Flüssigkeit zur Bewegung auf festen Oberflächen oder chemotaktische Signale usw. Funktionale Komplexizität ist wohl nicht nur durch die Summe der einzelnen Teile erklärbar. Könnte Komplexizität, richtig definiert, die Entropie als fundamentale Größe ersetzten ?

Sprache

Bottlenose-Delphine sind hochsoziale Säuger, die in Gruppen leben. Diese Gruppen sind flexibel, die Individuen kommen und gehen von Minute zu Minute. Langzeitstudien haben ergeben, daß einzelne Delphine starke soziale Bindungen haben, Paare von Männchen oder Mutter und Kind wurden über Zeiträume von 5-10 Jahren oder länger beobachtet. Ihr akustisches Kommunikationssystem enthält Signaturen.

Digitization: "Computer simulation is seductive, but it does not banish empiricsm. An intellect is still required to see what is truly significant."

Neurologen entdeckten im Gehirn ein Gebiet von Neuronen, das sie OAA nennen (Orientation association area), welches für die richtige Orientierung im Raum verantwortlich ist. Im Wachzustand unterscheidet die OAA genau zwischen dem Selbst und der Umgebung. Im Schlafmodus bricht diese Unterscheidung zusammen und die Grenze zwischen Realität und Fantasie wird verschwommen, so wie bei tiefer Meditation. Könnte es sein, daß das "Gefühl der Einheit mit Gott und der Welt", welches von Mönchen beschrieben wird, auf diese Funktion der OAA zurückzuführen ist ?

Um 1920 beschrieb Bridgman die Vorliebe der Menschen, komplexe Vorgänge durch mechanische Modelle zu erklären, z.B. das Planetensystem, das Atommodell usw.

Im Jahr 2000 erklärt Feldman durch eindrucksvolle experimentelle Daten, daß je komplexer die boolsche Logik eines Konzeptes ist, desto schwerer ist es zu erlernen. Das generelle Prinzip besagt, daß menschliche Erkennung einfache Interpretationen der Welt bevorzugen. Sprachwissenschaftler haben gezeigt, daß Kinder nach Mustern und Regularitäten suchen, um den sprachlichen Input zu reduzieren.

Archaische Kulturen benötigten alte Menschen als Informationsspeicher, damit auch statistische seltene Ereignisse der Gesellschaft im Notfall sofort verständlich waren. Heute beruht unser kollektives Wissen auf der Sprache und der Sprachübermittlung. Wörter leihen Kohärenz, sie bilden verständliche Muster um den mathematischen Zusammenhang von Ereignissen zu übermitteln. Zwei Pioniere, Gandhi und Sacharow, haben beide verstanden, ihre Courage und Integrität einer großen Menschenmenge instantan zu vermitteln.

Musik

Thomas Carlyle nannte die Musik "Sprache der Engel" und wie sich zeigte, so haben Sprache und Musik einiges gemeinsam. Am MPI in Leipzig wurden 2001 sechs rechtshändige Menschen ohne musikalische Ausbildung im Neurowissenschaftlichen Institut getestet, indem ihre Gehirnströme gemessen wurden. Die Reaktionen auf fünf Akkorde in der Tonart C-Dur und ein "Neapolitanischer Akkord", welcher zwei Noten enthält, die in C-Dur nicht vorkommen, wurden untersucht. Wenn der Austausch an dritter Stelle erfolgt, so klingt es etwas unstimmig, an fünfter Stelle jedoch unpassend, weil die Reihenfolge der vorangegangen vier eine Erwartung erzeugt, die dann nicht erfüllt wird. Die Messungen ergaben, daß die "unnormale Musik" in Broca's area, dem Sprachzentrum verarbeitet wird, weil die Analyse schwieriger ist als die der normalen Musik.

Fünf Prozent der Menschen haben eine totale Tonerkennungsschwäche, z.B. konnte Che Guevara nicht Tango von Samba unterscheiden oder eine kanadische Frau mit einem IQ von 111 „Frere Jaques“ weder erkennen noch singen. Peretz argumentiert in seiner Studie (Science 2001), daß die Fähigkeit Musik zu hören eine Adaption ist, die möglicherweise die Grundlage ist um die „soziale Kohäsion“ von Menschengruppen zu erhöhen, indem sie etwas darstellt, was alle teilen. Dehaene behauptete seit langem, daß die Fähigkeit zu rechnen in zwei unterschiedlichen Gehirngebieten erfolgt: exakte Arithmetik (mit Zahlensymbolen 1,2,3... ) erfolgt in der linken Gehirnhälfte (Science, 7 May 1999, pp.928 and 970), während ein intrinsischer Zahlensinn bei Babys, (sowie Affen und einigen Nagetieren) nachgewiesen werden kann lange bevor sie sprechen können.

Absolute Tonhöhenerkennung ist bis zu einem gewissen Grad erlernbar, nicht jedoch das Erkennen von relativen Tonhöhen, welches eine Fähigkeit ist, die offenbar angeboren ist. Im DTT (Distorted Tune Test) konnte gezeigt werden, daß die musikalische Tonhöhenerkennung weitgehend unabhängig ist vom peripheren Hören. Die Tonhöhenkontur einer Stimme enthält sehr viel Information über emotionale Zustände, die dabei kommuniziert werden.

Malerei

Der Maler Piet Mondrian war auf der Suche nach der Wahrheit bezüglich konstanter Formen und malte deshalb senkrechte und waagerechte Linien. Auch Malevitch und Newman, Calder und Tinguely komponierten Werke, die die Bewegung betonen und Farbe und Form unterbetonen. Deshalb waren die Werke geeignet um die bewegungs-selektiven Gehirnzellen zu stimulieren.

Das erste Gesetz ist die Konstanz: Im Kubismus haben Picasso und Braque versucht, den Standpunkt zu eliminieren, den Abstand und die Beleuchtungsbedingungen (analytische Periode). Das zweite Gesetz ist das der Abstraktion: Michelangelo versuchte vergeblich durch Anfertigung vieler Skulpturen der Pieta die idealen Vorstellungen seines Gehirns in einer einzigen Skulptur zu vereinen. Dante hatte eine lebenslängliche, unerfüllte Liebe zu Beatrice. Keine andere Frau konnte nach deren frühem Tod jemals seine glorifizierte Dame ersetzen. Wagner schuf in Tristan und Isolde das Ideal der „Romantischen Liebe“, die größte Illusion aller Zeiten. Neuroästhetik ist für die Zukunft ein geeignetes Feld, auf dem die Gültigkeit der Gehirnfunktionen und aller fundamentaler Fragen des gesellschaftlichen Lebens untersucht werden sollte, meint der Autor Semir Zeki, ein Professor für Neurobiologie der Universität London, der diesen Science Artikel verfaßte (Vol.293, 6.Juli 2001).

Referenzen:

1"Nano-Qubits für Quantencomputer", Gerd Schön und Yuriy Makhlin, Physik in unserer Zeit (2000), 1, 34-40
2"Schrödinger's cat is now fat", Gianni Blatter, Nature, 406, 25-26, (2000)
3"The fog that was not", Ahmed H. Zewail, Nature, 412, 279, (2000)
4"Atomlaser - aus Bose-Einstein Kondensaten lassen sich kohärente Materiewellen auskoppeln", T. Esslinger, I. Bloch, T.W. Hänsch, Physikalische Blätter, 56, 47-50, (2000)
5"Supersymmetric frontiers and beyond", G. F. Giudice, Nature, 407, 563-564, (2000)
6"The artistry of nature", E. Ben-Jacob and H. Levine, Nature, 409, 985-986, (2001)
7"Beyond Platonic Molecules", J.M. Bowman, Science, 290, 724-725, (2000)
8"Dolphins whistle a signature tune", P.L.Tyack, Science, 289, 1310-1311, (2000)
9"Is god all in the mind?", M. Shermer, Science, 293, 54, (2001)
10"A tool not a tyrant", M. Greene, Nature, 410, 875, (2001)
11"Unwritten knowledge", J. Diamond, Nature, 410, 521, (2001)
12"The logic of human learning", N. Chater, Nature, 407, 572-573, (2000)
13"Strings and things", J. Turney, Nature, 410, 873, (2000)
14"The structure of matter", H.J.Lipkin, Nature, 406, 127, (2000)
15"Brains, courage and integrity", T. Gehrels, Nature, 404, 335, (2000)
16"How the brain understands music", C. Holden, Science, 292, 623, (2001)
17"What makes the mind dance and count", M. Balter, Science, 292, 1636-1637, (2001)
18"Study suggests pitch perception is inherited", C.Holden, Science, 291,1879 (2001)
19"Quantum weirdness", P. Holland, Nature, 406, 123, (2000)
20"Artistic creativity and the brain", Science, 293, 51, (2001)
 
Letzte Änderung: 10.04.2022
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