Artikel in Rhythmik Berufsverband Rhythmik Schweiz Heft Nr. 1 Juni 2002
Klänge und Geräusche mit außergewöhnlichen Instrumenten
Von Limpe Fuchs
.
In der Sprache der Systemtheoretiker sieht das Leben des Einzelnen so aus: "
Auf der Ebene des Individuums hat die fremdbestimmte Produktionsweise sozialer
Leistung die selbstbestimmte in den Schatten gestellt. Wir lernen nicht mehr,
wir werden belehrt ( im besonderen auch durch die Fertigmeinung der Medien);
wir gestalten unsere Umwelt nicht mehr selbst, sie wird uns von der Industrie
geliefert; wir leben nicht mehr gesund, sondern werden medizinisch versorgt,
wir bestimmen nicht mehr selbst die Werte unseres Lebens, sie werden uns von
Experten vorgeschrieben. Menschen, die nicht mehr autonome Werte schaffen können,
müssen beliefert werden. Die dafür nötigen Aktivitäten verstopfen
in zunehmendem Maße das gesellschaftliche System"
Zu extrem formuliert, wird vielleicht mancher sagen. Aber eine Aufmerksamkeit
auf Möglichkeiten der Selbstbestimmung ist auf jeden Fall angesagt. Fragen
wie: Was ist mir wichtig? Wie möchte ich mein Leben gestalten? Den Körper
kennen, seine Stärken, seine Schwächen. Kommunikationsumfeld prüfen,
Vielfalt suchen. Eine gute Ausgangsbasis für geistige und körperliche
Beweglichkeit im harten künstlerischen Dasein bieten immer wieder die rhythmischen
Prinzipien: Auf der einen Seite die spielerischen Möglichkeiten ständig
weiterentwickeln - es gibt keine Grenzen - auf der anderen Seite sie in eine
Ordnung bringen, die mir ganz entspricht. Schon 1962 hatte ich das Glück
eine einjährige wöchentliche Kursarbeit bei Amelie Hoellering zu machen.
Aus dieser Zeit ist mir das Raumbewusstsein ein ständiger Begleiter geblieben,
auch wenn ich erst viel später merkte, dass ich dieses Bewusstsein zwar
in der Sprache der Bildhauer und Klangkünstler ausdrücke, das Empfinden
aber in der Rhythmik entstanden ist. Neben meinem Schulmusikstudium, an das
ich ein Perkussionsstudium anschloss, begannen wir - eine Studentengruppe, die
Feste mit eigener Musik und Tanz gestalten wollte- uns mit Materialklängen
und Instrumentenbau zu beschäftigen.
Im Laufe von 40 Jahren entwickelte sich mein jetziges Instrumentarium, vor allem
durch die Zusammenarbeit mit dem Bildhauer und Klangkünstler Paul Fuchs
und im Kontakt mit vielen anderen Musikern und viel weniger Musikerinnen - was
sich aber in den letzten 10 Jahren geändert hat! - , beeinflusst von John
Cage, minimal art und den Soundscape Artisten: Ich war mit der Familie 1981,
82 und 83 jeweils 3 Monate in den USA und Kanada unterwegs, wurde 1986 zum New
Music America Festival nach Chicago eingeladen und 1989, zusammen mit Paul Fuchs
zu einem Festival nach New York.
In einem Artikel der Jazzthetik 1990 beschreibt Dita von Szadkowski ziemlich
genau, was auch mich veranlasste das Drumset 1985 - schon erweitert durch Holzblöcke,
Kreissägeblatt, Schaufel, Fußzither, in eine Hihat eingebaut, - zu
verlassen: "Es gibt nicht mehr nur den an den Beat geknüpften Rhythmusmusiker.
Der Begriff Rhythmus ist durch ein weit sensibleres Verständnis wieder
in die Nähe der antiken Musike im alten Griechenland gerückt .....
die Art ihrer rhythmisch-musikalischen Ausdrucksbreite kommt eigentlich jener
Vorstellung der Antike nahe, die auch den Persönlichkeitsrhythmus, den
Rhythmus eines Bauwerks, einer persönlichen Anordnung in den Begriff einbezog."
Für diese Erweiterung - die Musik entwickelt sich über die Bewegung,
die Instrumente sind im Raum verteilt - verzichtete ich auf Bassdrum und Hihat
zugunsten der Ballastsaitenbäume, Holz- und Steinspiele. Die Anordnung
der Instrumente wird für jeden Raum neu überlegt. Beim Jazzprojekt
1993 in der Muffathalle in München stellte ich unserem Ensemble 4 Ballastsaitenbäume
zur Verfügung. Bei den Musiktheaterprojekten tritt dann noch die Lichtbewegung
hinzu, die mit dem Lichttechniker entwickelt wird. Seit 1992 habe ich- mit Unterstützung
des Kulturreferates München - 6 Klangtheaterprojekte verwirklicht, 3 Figurentheaterprojekte
musikalisch gestaltet und immer wieder in ungewöhnlichen Räumen- Zeche
Zollern 2 Dortmund, ägyptische Sammlung München, Katharinenruine Nürnberg,
Heidelberger Schloss, Aula Carolina Aachen, in Kirchen und im Freien spezielle
Klangkonzerte gestaltet. Reinhard Schulz von der Neuen Musik Zeitung hat es
einmal so formuliert: "Die Instrumente werden im Vorbeigehen in Schwingung
gebracht, manchmal scheinbar absichtslos, manchmal mit spielerischer Konzentration.
Und nach einiger Zeit stellt sich Aura ein - ein gewissermaßen lebendiges
Verhältnis der Klangerzeuger zum Raum und zu den Zuhörern. Sie verstärkt
sich durch die Spannung darüber, wie die Materialien ihr Inneres preisgeben."
Diese Offenheit des Umgangs mit den Klangmaterialien gibt mir die Möglichkeit
immer wieder neue Skalen aus meinem Vorrat von Hölzern und Steinen - Marmor
und Serpentinit, den ich aus Sondrio, Oberitalien hole - zusammenzustellen.
Da ich relativ höre, mache ich mir auch bei notierten Kompositionen nicht
die Arbeit mit dem Klavier meine Skalen zu vergleichen und zu benennen - ich
bräuchte dazu mindestens ein Vierteltoninstrument- sondern ich nummeriere
die Steine und ändere bei Bedarf die Nummerierung. Besonders bei den Klangsteinen
- denn unter 100 angeschlagenen Steinen klingen nur10 - sind die Resonanzen
untereinander spannend und ich spiele mit den Schwebungen der fast gleich großen
Steine.
Neben diesen klingenden Reihen sind die Ballastsaitenbäume eine bestimmende
Klangfarbe in meinen Konzerten: Je eine Bronzetrommel, Durchmesser des Paukenfells
70 cm, hängt in einem 3 m hohen Eisengestell - bei Bedarf benütze
ich auch 6 bzw. 4 m hohe hölzerne Dreifüße, oder die Trommel
wird in beliebiger Höhe an Zügen aufgehängt. In der Mitte des
Fells ist - verstärkt durch eine Kupferplatte- ein unterschiedlich langer
Klaviersaitendraht befestigt an dem eine ca. 10 kg schwere gerade oder gebogene
Bronzestange hängt. Durch die Aufhängung entsteht ein Doppelpendel,
die Bewegungen sind nicht vorhersagbar. Es kann mit der Saite gespielt werden
- zupfen, streichen, Tonveränderung durch Anheben der Bronzestange - oder
mit der Stange: weich oder hart anschlagen und ausklingen lassen, rhythmisch
anschlagen mit und ohne Zwischenstops. Dazu bilden die verschiedenen Röhrentrommeln
in 4er und 7er Anordnung, eine Pedalpauke und 4 Bronzetrommeln einen Kontrast.
Bewegte Geräusche sind ein anderer wichtiger Akzent, z.B. Kugelrollen :
große, kleine, einzelne, eine ganze Schüssel voll entleeren. Eine
Holzkugel kommt anders zum Stillstand wie eine Eisenkugel oder eine Steinkugel
und sie klingen auf unterschiedlichen Böden verschieden. Klangbleche werden
geschüttelt, gebogen, am Boden geschleift, sanft abgelegt oder schüttelnd
geworfen. Der gebogene Klangstab an der Ballastsaite wird durch eine Drehung
in Bewegung versetzt, ein großer Bergkristall liegt in Reichweite am Boden,
wird angeschlagen, der Stab dreht sich zurück, ein sich erneuernder Klang,
eine Klangbewegung die bis zu einer Viertelstunde dauern kann. Das Herumgehen
mit dem Klang der Violine -seit 1993 setze ich sie in Konzerten ein - und den
Holzhörnern bringt melodische Bewegung in die sich ausbreitenden Schwingungen
zu denen ich auch mit der Stimme in Resonanz trete.
Freie Musik zu machen in Verbindung mit Bewegung gibt die Möglichkeit
einen spielerischen Zugang zur Musik zu erhalten, das persönliche Zeitgefühl
kennen zulernen. Meine eigenen Erfahrungen und Spielweisen bringe ich immer
wieder zu Gehör, das Hören auf die Anderen ist aber trotzdem eine
große Herausforderung. Daher sind neben dem Solo, Duos und Trios die am
häufigsten gespielten Kombinationen, nonverbale Wechsel, das Finden von
Schlüssen, Pausen. Ein ständiger "Aufführungscharakter"
soll gewahrt bleiben, es gilt:
Jeder Ton ein Ereignis! Es gibt Ausprobierphasen, aber üben an Geschwindigkeit
oder an speziellen Rhythmen ist die Arbeit des Einzelnen.
Eine Hilfe sind auch die vier Komponenten der Rhythmik -Zeit Raum Kraft Form-
die auch in der bewegten Improvisation ständig zum Tragen kommen. Im Umgang
mit der Zeit merke ich das große Bedürfnis - bei Kindern, wie bei
Erwachsenen- sich viel zu nehmen, die Geduld der anderen zu fordern Allerdings
erst, wenn es mir gelungen ist, das ständige Wechseln Wollen aus einer
Hektik heraus zu unterbrechen. In der Improvisation gibt es kein Zeitdefizit,
sondern die ganze Fülle der Zeit soll hörbar werden.
Ein Zeitluxus bringt die Klänge zum Blühen. Deshalb ist es meine
Aufgabe nicht Virtuosität sondern Einfachheit zu vermitteln:
Das Verklingen eines Tons zuzulassen, das Rollen einer Kugel bis zum Stillstand,
der Anschlag eines Steines und sein Nachhall. Darum brauchen wir am Anfang die
Stille - für viele Kinder, aber auch für Erwachsene eine ganz neue
Erfahrung: Der Raum wird hörbar. Töne und Bewegung entstehen bereits
in Bezug zum Umgebungsklang. Als nächstes achte ich besonders auf den Impuls
des Zugriffs: Saite zupfen, Hölzer anschlagen aus dem Hinhören heraus,
so wenig wie möglich "draufhauen", sondern den Klang herauslocken
und beobachten. Jenseits der temperierten Skalen gibt es keine falschen Töne
sondern:
Die eigene "Stimmung" macht die Musik. Durch allmähliches Formfinden
lässt sich in der Gruppe aus einem fröhlichen Lärm eine neue
Klangkultur entwickeln.
Dann gibt es Kinder, deren Interesse für Musik gefördert wird durch
den Bau eines eigenen Instruments. Dafür habe ich ein einfaches Saiteninstrument
entwickelt: An den vorbereiteten Fichtenholzkörper - unterschiedliche Längen
zwischen 60 cm und 80 cm mit beidseitigen Hartholzzargen- wird die Rückwand
geleimt. Die Veränderung der Schallqualität ist durch Klopfen prüfbar.
Beim Aufspannen der Saiten - nach Aufzeichnen, Bohren, Zitherwirbel rechts und
links reindrehen - ist die Wahl der Tonhöhen durch das Auswählen der
Saiten - dünnere, dickere, umsponnene - und den Wechsel der Spannung jedem
freigestellt. Ein einziges wollte einmal mit seinem mitgebrachten Stimmgerät
die C Dur Skala einstimmen - was ihm auch gelang. Für die Vorbereitung
eines Klangfestes mit Kindergartenkindern habe ich bei meinen eigenen Saiteninstrumenten
auch eine einheitliche Stimmung hergestellt und die entsprechenden Saiten mit
1 - 3 - 5 bezeichnet: Wir wollten ein Lied mit einem Dreiklang begleiten. Andere
mehr rhythmisch interessierte Kinder bauen Trommeln - Plastikkörper auf
die man draufsteigen und rollen kann- werden mit Ziegenfell bespannt, Bambusstäbe
werden zu Panflöten zersägt,
Holzhörner zwischen 70cm und 100cm Länge aus 2 Teilen geschnitzt und
zusammengeleimt- 4 davon gehören auch zu meinen Instrumenten. Grundtöne:
Kleines c, es, e, a.
Eine andere Arbeit hat sich aus einem Wochenende entwickelt: Klangbeschränkung
auf Parketthölzer, die am Boden liegen, gleich dick = 2,5 cm, gleich breit
=6,5 cm aber verschieden lang. Partien von 15 , 20, 30, 40, 50 cm. Eine Teilnehmerin
unserer Rhythmikgruppe, die sich seit 2 Jahren alle 4 Wochen auf 4 Stunden zu
einer freien Entwicklungsarbeit trifft, machte den Vorschlag. Die erste Überraschung
erlebte ich, als ich die Hölzer aus meinem Glashaus, in dem sie lose auf
einem Estrich liegen und bei jedem Gehen musikalisch klappern, in den Probenraum
verlegte: Auf dem perfekt glattgestrichenen Boden war beim Drübergehen
fast nichts mehr zu hören. Als Lösung bot sich an, Quarzsand auszustreuen,
um den Hölzern wieder zu ihrer Beweglichkeit zu verhelfen. Da aber das
Gehen und Verschieben auf Sand ganz andere Klänge erzeugte, entschlossen
wir uns 2 Böden -ca. 18 m ²- einen mit und einen ohne Sand zu legen.
Seit einem Jahr sind wir nun am Spielen und Erfinden. Eine Zeitlang wurde uns
der Holzklang zu eintönig - Instrumente kamen hinzu, auch um Bewegungswechsel
zu markieren. Aber als wir uns entschlossen, die Arbeit auch zu zeigen, entwickelte
sich aus der Beschränkung- wieder nur Holz - eine neue Intensität.
Jetzt geht es darum einen selbstverständlichen Ablauf von Klang und Bewegung
zu finden, der uns Raum lässt für Handlung, also im Jetzt zu entscheiden
wann Wechsel eintreten, und so weit wie möglich Spannung zu erzeugen, auch
durch Extreme ein Risiko eingehen, das wir noch gemeinsam tragen können.
Es gibt nämlich neben den Bewegungsvarianten - solo, duo, alle gehen, verschieden,
gemeinsames Tempo, Böden wechselnd, Tempo steigern, springen, verschieben
mit den Füßen- auch mit den Händen Hölzer werfen, Berg
auftürmen, Hölzer flachkantig, hochkantig aufstellen, zusammenschlagen,
bei sich, beim anderen, Körper mit Holz belegen und bespielen, d.h. viele
Möglichkeiten sich und die anderen körperlich und akustisch zu überfordern.
Allerdings muss ich mir auch gefallen lassen, dass eine Journalistin in einer
negativen Kritik bemerkt: "Limpe Fuchs könnte auch aus einem Wattebausch
noch Töne locken". Meine Neugier und Hörbereitschaft ist trotzdem
ungebrochen. Neue Erfahrungen machen, auch den Schrecken des Nichtkönnens
aushalten, Emotion zeigen, den Raum, die Instrumente in der Unwiederholbarkeit
des Jetzt. In der pädagogischen Arbeit -von meinen 3 Kindern war einer
zum Musiker geboren - lerne ich immer noch die Freiwilligkeit des Lernens bei
meinen Teilnehmern zu akzeptieren. Weder auf die Teilnehmer noch auf die Instrumente
Zwang auszuüben.
Ich merke es gibt unter den Menschen Lyriker - die rhythmisch periodisch sich
organisierenden - und die Prosatypen- die ihre Töne frei setzen- und natürlich
Mischformen, denen das eine oder das andere besser liegt. Sich selbst kennen
lernen und die Andersartigkeit der anderen akzeptieren und letztlich daran Vergnügen
finden, wäre eigentlich das Ziel. Aber oft entsteht beim Prosatyp das Verlangen,
sich rhythmisch zu organisieren, was unweigerlich zu Schwierigkeiten führt.
Da kann ich Hilfestellung geben, einen Weg zu finden zu liebevollem Üben
- die einzige Möglichkeit weiterhin Freude an der Musik und der Bewegung
zu haben.
Hörsensibilisierung kann die Grenzen des Hörens erweitern: Spielen
des eigenen Instruments, Spielen in der Gruppe, Melodien, Rhythmen, Geräusche,
unperiodische Bewegungen, Sprachmelodien, Umwelt -was klingt? Was lärmt?
- Hinhören statt weghören. Ich bin sicher: Eine hörende Gesellschaft
kann zur Auflockerung unserer "verstopften Systeme" beitragen.
Limpe Fuchs, 83342 Peterskirchen Alter Pfarrhof- (bei München) Komponistin
akustischer und visueller Ereignisse, arbeitet im Konzert- und Theaterbereich.
Klanghörspiele für WDR und BR. Klangprojekte mit Kindern und Erwachsenen.
Erich Jantsch: Die Selbstorganisation des Universums 1992 Hanser Verlag