103. Montagsgespräch im Musiklabor München
Physik und Physiologie von Konsonanz und Dissonanz
Tasso Springer
Die Einschätzung, ob ein Zusammenklang als wohl- oder mißtönend empfunden wird, ist zunächst kulturell bedingt, d.h. durch Hörgewohnheiten und musikalisches Umfeld. Gleichzeitig kommen jedoch recht einfache akustisch-physikalische und gehörphysiologische Phänomene ins Spiel, die schon Herrmann v. Helmholtz im 19.Jh. erkannt hat.
Diese Zusammenhänge zwischen Musik und Physik will ich etwas genauer erklären. Ich gehe zunächst von schwingenden Saiten (oder Luftsäulen) aus. Ihnen allen ist gemeinsam, dass ihre Partialtonfrequenzen ganzzahlige Vielfache der Grundfrequenz sind, und weiter, dass einfache Längenteilungen unsere reine Durtonleiter liefern. Fügt man die physiologische Beobachtung hinzu, derzufolge unser Gehör eine Art von Trennschärfe oder Bandbreite bei der Identifizierung von Tonpaaren besitzt, dann kann man zeigen: "Wohltönender" Zusammenklang, etwa zweier Saiten, entsteht, wenn die Grundtonfrequenzen (oder Saitenlängen) in einfachen Zahlenverhältnissen zueinander stehen; mißtönend dagegen ist der Zusammenklang, wenn diese Quotienten komplizierter sind. Die wohlklingende Orchestermusik vom Barock bis zur Wiener Klassik hängt also naturgemäß mit dem Tonmaterial und dessen besonderen Eigenschaften zusammen.
Ganz anders bei der Tonerzeugung mittels schwingenden Platten oder metallischer Hohlkörper. Die zugehörigen Frequenzen sind hier keine rationalen Vielfache der Grundfrequenz. Der künstlerische Umgang mit diesen Klängen wird erörtert. Mit der Elektronik läßt sich jedes Tongemisch herstellen und künstlerisch einsetzen.
Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Temperierung der abendländischen Musik? Wie korrespondiert die musikalisch-künstlerische Verarbeitung mit der sinnlichen Wahrnehmung? Wie klingt eine Musik mit Klängen frei wählbaren Partialtönen, die mit heutiger Technik leicht realisierbar ist?
Tasso Springer ist emeritierter Professor der Physik (RWTH Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen) und Liebhaber der klassischen Musik.
Montag, 8. Juli 2002 - 20:00 Uhr Hörsaal der Reaktorhalle | Veranstalter: Echtzeithalle e.V. in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater München |