257. Montagsgespräch
Einstein / Tagore
Jutta Köhler, Lesung, Tagore
Jörg Schäffer, Musik, Einstein
Montag 16. Februar 2009 20 Uhr
Eintritt frei
Carl-Orff-Auditorium, München, Luisenstr. 37a, U-Bahn Königsplatz
Zweites Montagsgespräch im Rahmen des Projektes MUSIK UND MATERIE
in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater München, dem Deutschen Musikrat, dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München und der Echtzeithalle München.
8 weitere Montagsgespräche folgen.
Albert Einstein hat zum 70. Geburtstag von Rabindranath Tagore ihm zu Ehren einen Brief mit dem Titel „Über den Freien Willen“ verfasst. Dieser Brief ist der dritte Teil einer schriftlich fixierten Kommunikation der beiden, die wir in diesem 257. Montagsgespräch in Form einer Lesung mit Musik darstellen möchten. Wir haben in der Materialausgabe 2008 und in der Herbstmusik 2008, (Schwere Reiter, München) die beiden vorhergehenden historischen Gespräche zwischen Einstein und Tagore im Jahre 1930 in Berlin „Über die Natur der Wirklichkeit“ und „Freiheit und Determination in der Welt und beim Menschen, Improvisation und Struktur in der Musik“ aufgeführt.
Rabindranath Tagore „Gesammelte Werke – Lyrik, Prosa, Dramen“, Hrsg. M. Kämpchen, Patmos und Artemis&Winkler Verlage 2005, ISBN 3-538-05437-1, Seite 525-530.
Tagore und Einstein diskutierten in den Gesprächen ihre jeweiligen unterschiedlichen Vorstellungen über Wahrheit, Wirklichkeit, Freiheit, Religion, die Natur und die Musik, wobei der west-östliche Aspekt der Kulturen Indiens und Europas berücksichtigt wird. In dem Brief Einsteins geht es hauptsächlich darum, ob die Freiheit des Menschen wirklich existiert oder eher eine Illusion darstellt. Er bewundert Tagore für dessen Lebenswerk, diese geistige Freiheit für die Menschen außerordentlich positiv dargestellt zu haben und damit einem grundlegenden menschlichen Bedürfnis nachgekommen zu sein, auch wenn er selbst, Einstein, nicht daran zu glauben vermag.
Wir möchten im 257. Montagsgespräch diese Gegenüberstellung der beiden Auffassungen nicht nur verbal veranschaulichen sondern durch eine Kombination von Original-Brieftext, Musik und kleinen optischen Elementen eine Atmosphäre schaffen, in die man sich hineinfühlen kann in die Kräfte des Universums und ihre Wechselwirkung mit der Materie und dem Geist der Menschen, angeregt durch Musik und ihre geheimnisvolle Existenz, vorhanden und doch nicht materiell. Tagore gab ein Beispiel dafür: Musik lebt in einer anderen Dimension als die Materie: eine Motte, die ein Notenblatt auffrisst, spürt nicht die Musik, die in den Noten verborgen ist. Die Gravitation, eine Anziehung der Massen, die die Himmelskörper auf ihren Bahnen hält, hat Einstein lebenslänglich fasziniert. Er hat sie in seiner Weltformel zu fassen versucht, aber bis heute ist sie immer noch eine unerklärte Eigenschaft der Materie oder doch der Energie? Gibt es Parallelen zwischen Musik und Gravitation? Sowohl bei Einstein als auch bei Tagore haben wir es mit einer gedanklichen Extrapolation von individuellen Elementen zu einer übergeordneten Struktur zu tun. Ob die kosmischen Urkräfte von Materie und Energie noch Platz für die Freiheit des Menschen und seine Musik lassen, ob Einsteins und Tagores Ansichten darüber letztendlich vielleicht doch zum selben Punkt konvergieren oder ob es tatsächlich Divergenzen gibt, die im Unendlichen dann zwangsläufig zu zwei völlig verschiedenen Punkten verlaufen, dazu möge das Publikum sich angeregt fühlen mit uns im Anschluss zu diskutieren.
Jutta Köhler, 9.2.2009
Die Musik für „Einstein/Tagore“ geht der Frage nach, ob es einen Übergang zwischen Klang und Musik gibt, oder ob sie diskret sind; weiterhin, ob sich beide bedingen (ohne Klang keine Musik bzw. ohne Musik kein Klang, d.h. inwieweit konditioniert die Musik die Differenzierung einer akustischen Wahrnehmung in Klang oder Geräusch) oder gibt es auch Fälle des gegenseitigen Ausschlusses (wenn Klang, dann keine Musik und vice versa).
Im ersten Abschnitt der konzertanten Lesung „Einstein/Tagore“ ist die Musik doppelschichtig angelegt. Die erste, als Hintergrund erscheinende Schicht, besteht aus Ansprachen Einsteins. Diese sind überlagert und akustisch „gequantelt“ d.h. in Intervalle zerlegt, deren Zeitdauer dem Vielfachen einer kleinsten Einheit entspricht. Vor diesem Hintergrund etabliert sich die zweite Schicht aus Soloklavier-Phrasen. Diese greifen Einsteins Text an Tagore „Über den freien Willen“ auf. Der Text ist typografisch aufbereitet, so dass er als Partitur dienen kann. Die Interpunktion dient dabei als trennendes Element einzelner Textsegmente. Jeweils zwei bis vier Textsegmente sind auf einer Seite zusammengestellt und „speisen“ die „Notation“ eines Tonsystems. Jedes Wort mit einem Umlaut dient dabei als Ausgangspunkt einer kurzen pianistischen Phrase die das zugehörige Textsegment rezitativisch kommentiert.
Im zweiten Abschnitt reflektiert das Klavier den vorangegangenen Dialog zwischen Einstein und Tagore. Hier stellt sich die Frage nach möglichen Übergängen zwischen der Ansicht Tagores („Seelenkontinuum“ repräsentiert durch klangliche Vorgänge) und Einsteins Hypothese („cerebraler Determinismus“ repräsentiert durch melodische bzw. kontrapunktische Versatzstücke) als deren Artikulation auf musikalischem Gebiet.
Jörg Schäffer, 10.2.2009