ECHTZEITHALLE e.V. MÜNCHEN
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292. Montagsgespräch

Das Feuer der Sonne

Jutta Köhler und Dieter Trüstedt

30. Januar 2012 20 Uhr / Eintritt frei
Carl Orff Auditorium München
Luisenstr. 37a, U-Bahn Königsplatz

Bilder

Zweites Montagsgespräch im Rahmen des Projektes Natur - Wissenschaft - MUSIK - Wahrnehmung - Wirklichkeit in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater München, dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München, dem Bezirk Oberbayern, dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst - und dem Musiklabor / Echtzeithalle e.V.

Jutta Köhler
Dieses Montagsgespräch bezieht sich auf die gleichnamige Musikperformance mit Limpe Fuchs, Jutta Köhler und Dieter Trüstedt, die in der Herbstausgabe 2011 der Echtzeithalle im Carl-Orff Auditorium der Musikhochschule München stattfand.
Der Originaltext „Das Feuer der Sonne – wie das alte Sonnenmodell aus Eisen dem neuen Modell aus Wasserstoff weichen musste“ aus dem zweiten Teil der Performance wird nochmal vorgelesen. Der Text beschreibt die wissenschaftshistorischen Hintergründe, die dazu beigetragen haben, dass die Vorstellung von der Sonnenenergie ab ca. 1920 einen Paradigmenwechsel vollziehen konnte. Die Arbeiten zu Sternenmodellen von Prof. Sir Arthur Stanley Eddington, einem englischen Astrophysiker und die höchstgenauen Messungen der solaren Spektrallinien der damaligen Studentin Cecila Payne-Gaposchkin, später Professorin für Astronomie an der Harvard Universität, waren die Grundlagen, um als Ursache der gewaltigen Sonnenenergien die Wasserstofffusion zu postulieren.
Die Idee der dreiteiligen künstlerischen Performance lässt sich wie folgt skizzieren: im ersten Teil wurde die historische Vorstellung von der Sonne als heißem Feuerball aus schwerem Eisen durch die akustischen Klänge mehrerer Instrumente, die alle aus Eisenmetall bestehen, von Limpe Fuchs dargeboten. Besonders das aus reinem Eisen gefertigte, gebogene Pendel ihrer Ballastsaite erzeugt je nach Anschlagstechnik sehr viele verschiedene original-Eisenklänge.
Die zeitgenössische Computermusik: "Wasserstoff-Linien als Sonnenregen, Melodie und Sonnenstaub" von Dieter Trüstedt bildete den dritten Teil der Performance, d.h. das neue Modell der Sonne, deren immense Energie nicht auf heißem Eisen sondern auf der Wasserstofffusion beruht. Die Grundlage für die Pure-Data-Kompositionen von Dieter Trüstedt waren die gemessenen Wellenlängen des Wasserstoffatoms aus der NIST-Datenbank. Die von Dieter Trüstedt entworfenen Graphiken für den ersten und dritten Teil zeigen optisch den Wandel des Sonnenmodells, zuerst als große runde Sonnenscheibe mit ihren nuancierten Farbänderungen, die die Sonnenauf- und -untergänge symbolisieren, und zum Schluss als fluktuierende, regenbogenfarbige „Spektralstreifen“. Im zweiten Teil wurden außer historischen Fotos jeweils die Abbildungen der Eisen- und Wasserstoffspektren gezeigt (NIST-DB).
Anschließend werden Jutta Köhler und Dieter Trüstedt ihre eigenen zugrunde liegenden Gedanken für diese Performance erörtern und sie in den Kontext der diesjährigen Reihe der Montagsgespräche-2012 zum Thema „Modernes Quadrivium – Musik und Naturwissenschaft“ stellen, und sie möchten diese in einer Diskussion mit dem Publikum vertiefen.

Dieter Trüstedt
In diesem Montagsgespräch geht es mir vor allem um die Transformationenen von Daten aus der Naturwissenschaft in Formen, die musikalisch-künstlerisch wahrgenommen werden können. Auch in den grafischen Darstellungen von naturwissenschaftlichem Material durchlaufen die gemessenen Daten mehrere Transformationen bis hin zu den Linienmustern oder den farbigen Spektraldarstellungen, die im Layout für ein Druckverfahren sogar nochmals bearbeitet werden.
Die Nanometer-Angaben der Wellenlängen habe ich mehr oder weniger willkürlich in hörbare Frequenzen umgerechnet, ohne das Gesetz der Proportionalität der Daten untereinander zu verletzen. Es entstehen „Tonfrequenzen“ zwischen 110 und 1100 Hz, d.h. zwischen A und c´´´. So wie es in den optischen Darstellungsverfahren üblich ist, verwenden wir hier auch mehrere Perspektiven, d.h. die Känge oder Klangkaskaden hören wir in verschiedenen "Musik"-Formen. Nicht nur die Frage, wie Sonnenlicht klingen könnte, sondern auch so scheinbar einfache Fragen, „wie laut ist Sonnenlicht?“, spielen hier eine interessante Rolle.
In „Sonnenregen“, fallen die Töne „von oben nach unten“, d.h. die Kaskaden von 269 Frequenzen werden in zeitlich abgestuften Taktfrequenzen von den höchsten Frequenzen ausgehend stufenweise durchgespielt. Die Musik ist zehnstimmig, damit zehnfach komplexe Tonhöhenkombinationen im ständigen Wechsel entstehen. Vielleicht gelingt es sogar die Vorstellung zu erzeugen, wie die Photonen des Sonnenlichtes in ihren verschiedenen Energien und unendlich vielen Zeitpunkten vor meinen Augen bei den Reflexionen „aufleuchten“ und dadurch sichtbar werden. Wir hören das Schwirren und die Dissonanzen der hohen Energien, das Herabfallen der mittleren Energien und das Summen der Frequenzen der kleinen Energien. Einzelne Frequenzgruppen „wagen sich hervor“, liegen akustisch weiter vorne, andere tauchen im gesamten Klang unter.
In "Sonnenmelodie", werden einzelne Tonhöhen direkt angespielt - über eine in der Lautstärke dynamische Tastatur des Laptops. Hier entstehen Klangflächen-Melodien um die Tonhöhen GIS, A und B, dann einige Werte um d, dann um g, dann um a, dann um b und ein kleiner Sprung zu vielen verschiedenen c-Werten; dann ein großer Sprung zum g‘‘ bis fast h‘‘ und dann wieder viele c‘‘‘ bis hinauf zum höchsten Ton c‘‘‘ plus 80 cent. Der "geometrische" Klang (stark gefiltertes Rauschen, genannt Drachenklänge, flackernde Sinusse) wird hier als Mauersegler bezeichnet, die kleinen Vögel, die sich (fast) nur in der Luft aufhalten, dort sogar nachts schlafen. Sie symbolisieren das flirrende Sonnenlicht mittags, mal sehr fern (leiser und tiefer) mal sehr nah, lauter, schärfer. Das Tastatur-Spiel läßt eher Sommer-Assoziationen entstehen- es sind keine eindeutigen Melodien.
In „Sonnenlichtstaub“, hören wir die Energien, die Frequenzen, die Wellen so komplex wie die Sonnenstrahlen sind. Mir gefällt, dass die einzelnen Photonen seit ihrer Entstehung über Zehntausend Lichtjahre unterwegs sind, der längste Weg ist in der Sonne selbst, unendlich oft gestreut. Diese „wilde“ Szene soll in dieser Musik symbolisch deutlich werden.

In diesem Montagsgespräch
diskutieren wir die beschriebenen Transformationen, die künstlerisch-musikalischen Prozesse - und die Frage was wir, ohne die Strukturen der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu verzerren, darstellen können. Es gibt in den Umrechnungen zur Musik Invariante: zum Beispiel die Zahlenverhältnisse (auch wenn linear-reziproke Abbildungen aus Harmonien Subharmonien erzeugen) und die Selbstähnlichkeit (Fraktale, siehe kommende Montagsgespräche). Und es gibt künstlerische Invariante: die Anmutung und die Wirkung (auf den wahrnehmenden Menschen). Daraus ist die vorgestellte Musik gebaut.
Das war den Wissenschaftlern/Denkern/Meistern der Antike und des klassischen Quadriviums in den Artes Liberales wichtig: wir können die Natur dieser Welt als Bezüge, Relationen und Wirkungen hören - vielleicht sogar als klingende Musik. Das gilt bis heute.

Die verwendeten Frequenzen -
abgeleitet aus den Wellenlängen des Sonnenlichtes.
Eine Angabe in Hertz als Schwingungsfrequenz ist hier nicht relevant - wichtig sind die Bezüge der Zahlen untereinander.

 

 
Letzte Änderung: 14.02.2012
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