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153. Montagsgespräch im Musiklabor München

Hans Rudolf Zeller

Interdisziplinarität oder auch Dilettantismus?

Karl Marx hielt es für denkbar, dass als Resultat der gesellschaftlichen Entwicklung ein Stadium zu erreichen sei, in dem der Mensch zu verschiedenen Tageszeiten ganz verschiedene Tätigkeiten nachgehen könnte und nicht mehr den Anforderungen eines einziges Berufs unterworfen sein würde. Von diesem zweifellos utopischen Entwurf ist jedoch auszugehen, weil nur er die Beschränkungen aufzuheben verspricht, von denen auch die bekannten, natur- oder geisteswissenschaftlich ausgerichteten Disziplinen geprägt sind, welche auch neue Kunstformen hervorbrachten. Denn die frühzeitige Festlegung auf einen Beruf, der wiederum auf einem Fach oder auf einer vorweg begrenzten Kombination von Fächern basiert, schafft erst die Voraussetzung für seine professionelle Ausübung und deren Kriterien. Alles, was diesen nicht entspricht, gerät dann in den Verdacht des Dilettantismus und wird oft zunächst einmal abgelehnt.

Doch gerade die Kunst entzog sich, je moderner sie wurde, immer wieder der Einordnung in bestehende Berufssparten, machte vielmehr neue, viel spezifischere erforderlich; und ebenso war in der Musik nie allein auf die vielbemühte fachliche Kompetenz Verlass. Das allzu große Vertrauen ins erworbene Metier und eitles Pochen auf Professionalität wurden häufig als Anlässe zur Kritik verstanden und markierten eher das Ende, nicht den Anfang der Meisterschaft. Dagegen wurde zum Ausgangspunkt neuer Entwicklungen, was anfänglich als bloße Bastelei und dilettantisch obendrein verschrien war. Dilettantismus ließ sich jedoch, je chaotischer die musikalische Entwicklung verlief, überhaupt nicht mehr als sinnvolles Argument aufrechterhalten, wurde vielmehr oft dadurch neutralisiert, dass man sich offen zu ihm bekannte. Nicht ohne Grund wurde der Vorwurf des Dilettantismus schon gegen die Konzeption des Gesamtkunstwerks erhoben, so sehr man die rein musikalische Komponente davon ausnehmen mochte. Aber genau diese Einschränkung kennzeichnet die Widersprüchlichkeit der ästhetischen Impulse schon im 19. Jahrhundert.

Hans Rudolf Zeller geboren ‘34 in Berlin. Studien in Freiburg und Köln. Seit ‘59 Essays, Artikel, Sendungen, Übersetzungen und experimentelle Texte. Mitarbeiter der Schriftenreihe „Musik-Konzepte” und der „Zeitschrift für experimentelle Musik”. Editionen: Schnebels „Denkbare Musik” (‘72) und „Cage Box” (‘79). Xenakis-Ausstellung in Bonn (‘74). Veranstaltungsreihe über „Musik der anderen Tradition” (Bonn ‘81), über das Gesamtwerk von Alban Berg (Kalkutta ‘85 / München ‘86), über Edgar Varese und Ferruccio Busoni (‘94). Entwurf einer kinematologischen Literatur in verschiedenen Dimensionen: Textbänder-operative Texte-Hand-Schriften-Versuche für Sprechorgane u.a. Bla blamata (‘63), kinem „kontexte” (‘65), kinem X. Seit ‘76 Medienkompositionen (Marx-Mill, Schallplattenmusik) sowie Sprech-Schriften und Stücke für Stimme(n) und Diascriptor(en) (u.a. DENKFIGUR, DIA-LOG, Essay über Klänge, ohne abzusetzen, Klavierartikulation). In den 90er Jahren Vortragsreihen über werkspezifische Mikrotonsysteme und Modelle der Medienkomposition. „Husserl-Töne” für Sprecher und Diaprojektionen. Arbeiten zum Projekt „Schrift-Laut-Musik“ mit Videoproduktionen („Scriptophonie”). ‘99 Sendereihe über „Kriterien der experimentellen Musik”.

Montag, 15. März 2004 - 20:00 Uhr

Eintritt frei

Carl Orff Auditorium
München, Luisenstr. 37a
U-Bahn U2 Königsplatz

Musiklabor

Veranstalter:
Echtzeithalle e.V.
in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater München

Tel. 089 / 289 27 477 oder 089 / 2721856
www.echtzeithalle.de  

 
Letzte Änderung: 10.01.2007
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