174. Montagsgespräch im Musiklabor München
Der Eintrittspreis
Fragen zum Wettbewerb der freien und kommunal verwalteten Kulturszene - ein Gespräch mit Siegfried Benker, Kulturpolitiker der Grünen
Der Wettbewerb
Der Eintrittspreis in eine Aufführung irgendeines münchner Festivals
liegt zur Zeit in der gleichen Größenordnung wie der Eintrittspreis
einer Performance der freien Szene. Er liegt bei 15 EUR. Die Ausstattungs-
und Realisationskosten einer Festival-Aufführung liegen über 100.000 EUR
Die Entwicklungskosten einer Produktion in der freien Szene dürfen
dagegen einige 1000 EUR nicht übersteigen. Das Publikum unserer Stadt
kann also zwischen zwei Angeboten wählen, die extrem unterschiedlich im
Aufwand ausgestattet sind, aber gleich im Eintrittspreis sind. Wie ist es
mit dem politischen Schutz gleicher Wettbewerbsbedingungen? Die freie
Szene müßte ihre Eintrittspreise korrekterweise auf 20 Cent setzen, um
entsprechend ihrer Ausstattung glaubwürdig zu bleiben?
Zum Vergleich
Der Bürger kommt in ein Kulturgeschäft und möchte einen Stuhl. Er
stellt fest, dass ein - vielleicht etwas frecher - Bistrostuhl den
gleichen Preis hat wie ein Brokatsessel mit Edelstein-Einlagen. Dem
erstaunten Bürger wird mitgeteilt, dass die Gemeinde speziell die
Produktion solcher Brokatsessel vorangig subventioniert. Wie soll der
Bürger als Kunde diese Merkwürdigkeit beim Erwerb einer Sitzgelegenheit
bewerten?
München als weltweit beliebte Aufführungsstadt
Die kommunale Kulturverwaltung wirbt mit der Feststellung, dass Künstler
von außerhalb liebend gerne in München aufführen. Diese Werbung wird
tatsächlich von vielen Künstlern bestätigt. Es soll sogar einen
richtigen Run auf München geben. Manche nennen diese Erscheinung bereits
"Garagenkultur": Rein in die Stadt, raus aus der Stadt.
Welche Folgen hat diese Kulturpolitik und was bleibt in München zurück?
Präsentationskunst
Vielleicht werden in dieser Diskussion ganz unterschiedliche Prozesse und
Ausprägungen von Kunst verglichen. In der Musik und im Theater gibt es im
Realisierungsprozess drei Stufen:
- Die Kunst als solche, der schöpferische Teil, die Komposition, das entworfene oder geschriebene Werk.
- Die Interpretationskunst, die vielen Variationen und Nuancen der Realisation eines Werkes.
- Die Präsentationskunst, die sich ausschließlich auf das abgeschlossene Werk bezieht, auf die Kunst als präsentables Endprodukt.
Liegt es an der Art unserer kulturellen Landschaft oder an einer bestimmten Kulturpolitik, dass sich der Staat eher für Stufen 1 und 2 verantwortlich fühlt und die Kommune sich eher für das künstlerische Endprodukt bzw. für den Endverbrauch von Kultur engagiert?
Festivalisierung von Fördergeldern der freien Kunstszene
Warum werden Münchner Künstler bevorzugt bzw. erst dann zu einem
Kulturfestival eingeladen, wenn sie aus der kommunalen und zudem extrem
geringen Förderung der freien Kunstszene Gelder in das Festival
einbringen können? Warum werden diese Fördergelder nicht direkt den
etablierten Festivals zugeschlagen, mit der Auflage hin und wieder
Münchner Künstler und Komponisten einzuladen? Ist es eine Frage des
Vertrauens, dass die Fördergelder nicht direkt in der freien Kunst-Szene
verbleiben können?
Der Leuchtturm- oder der Oasen-Effekt
In der Planungstheorie für Städte der TU Berlin wird zum Thema
Festivalisierung veröffentlicht: Festivals lösen das Problem
hegemonialer Politik, indem sie heterogene Interessen zu Mehrheiten
zusammenbinden. Sie entziehen damit aber auch den kleinteiligen,
ökologischen und sozialen Maßnahmen die Ressourcen. Festivals stellen
eine zeitliche, räumliche und finanzielle Konzentration der Ressourcen
dar: sie schaffen "Oaseneffekte": Hier das glanzvolle Fest, dort
die unterversorgten Problembereiche der Stadt.
Wie sieht die Kulturpolitik der Grünen diese Analysen der
wissenschaftlichen Städteplanung?
Publikum im 170. Montagsgespräch, Musiklabor München, 8. November 2004
Die Änderung in der Bayerischen Verfassung
Vor 20 Jahren wurde der Artikel 140 zur Kulturförderung in der Verfassung
des Freistaates Bayern verändert:
(1) Kunst und Wissenschaft sind von Staat und Gemeinde zu fördern. (2)
Sie haben insbesondere Mittel zur Unterstützung schöpferischer
Künstler, Gelehrter und Schriftsteller bereitzustellen, die den Nachweis
ernster künstlerischer oder kultureller Tätigkeit erbringen. (3) Das
kulturelle Leben und der Sport sind von Staat und Gemeinden zu
fördern.
Warum wurde Punkt 3 in die Verfassung nach ca. 38 Jahren Bestand also
ca. 1984 eingefügt?
Die Bedeutung der freien Kunst-Szene
Es besteht der Eindruck, dass die Bedeutung der freien Kunst-Szene von der
kommunalen Verwaltung zur Zeit sehr klein gerechnet wird. Ursache und
Wirkung dieser Situation können verschieden bewertet werden. Das
hessische Wirtschaftministerium beschreibt in einer kürzlich erstellten
Studie zum Thema "Kultur als weicher Stadtortfaktor" die Kultur:
Sie wird von drei Säulen getragen: 1. Die marktorientierte
Kulturwirtschaft, 2. die freie Kultur-Szene und 3. der öffentliche
Kulturbetrieb. Die Bedeutung der freien Kultur-Szene für die
kulturelle Entwicklung wird in dem Text betont. Wie steht die
Kulturpolitik der Grünen zu diesen Formulierungen?
Eventkultur und die Fähigkeit des Schwimmens
Die DLRG hat in ihren Rettungseinsetzen festgestellt, dass der deutsche
Bürger zunehmend das Schwimmen verlernt. Ein Grund dafür ist der Mangel
an kommunalen einfachen Schwimmbädern vor Ort, so wie sie mal
existierten. In den großen Bade-Event-Zentren wird normales Schwimmen
durch zuviel Event und durch zu seichtes Wasser erschwert. Wie sieht die
Politik der Grünen die heutige "Kulturfähigkeit" der Bürger,
seine kulturelle Neugier, sein Engagement, sein Interesse an neuen, noch
unbekannten Entwicklungen in den Künsten?
Blick in die Zukunft
Kultur 2010 startet einen offenen, visionären und interdisziplinären
Dialog mit Künstlern und Kulturschaffenden zum Thema "Kultur im Jahr
2010". Wie werden sich Kunst und Kultur bis zum Jahr 2010 entwickeln?
Welche aktive Rolle werden die Künstler selbst im Jahr 2010 einnehmen?
Wie eitel darf Kunst im Jahr 2010 noch sein? Welchen aktiven Part spielen
Wirtschaftsunternehmen bei der Finanzierung von künftigen
Kulturprojekten? Steht eine neue Konvergenz der Künste bevor? Wie
verändert das neue Europa im Jahr 2010 die Kultur im Jahr 2010? Kultur
wird in allen Bereichen im Jahr 2010 einen größeren Stellenwert in der
Gesellschaft, in der Politik, in Medien und der Wirtschaft besitzen. Wir
befinden uns mitten auf der Reise zu diesem Ziel. Kunst überwindet
Grenzen, schafft neue Emotionen und neues Denken. Kunst schafft neue
Impulse.
Panta Rei. Zunächst entstehen bewusst noch nicht organisierte und dadurch
offene und nicht durch Strukturen fixierte neue Kulturkontakte. Am Beginn
steht die Vorstellung einer künstlerischen Idee, einer Vision, eines
Themas, einer Philosophie, einer ethischen oder künstlerischen Handlung.
Die verbindende Klammer ist "Kultur im Jahr 2010". Ein neues
Künstler-Netzwerk entsteht.
Wie stellen sich die Grünen zum "Text zur Ausschreibung
Kulturhauptstadt & Kultur 2010"?
Montag, 6. Dezember 2004 - 20:00 Uhr
Eintritt frei
Carl Orff Auditorium
München, Luisenstr. 37a
U-Bahn U2 Königsplatz
Musiklabor
Veranstalter:
Echtzeithalle e.V.
in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und
Theater München
Tel. 089 / 289 27 477 oder 089 / 2721856
www.echtzeithalle.de