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175. Montagsgespräch im Musiklabor München

Joik, Silbenmusik. Die Musik der Samen

Christa Jost

„Kunst hat es in samischer Kultur nie gegeben – und deshalb auch keine Künstler. Erst in den letzten Jahren, als westliche Kultur den Samen die Möglichkeiten, ihr eigenes Leben zu leben, vernichtete, führte die Entfremdung von der Natur zur Erscheinung von Künstlern. In samischer Kultur war seit jeher jedes Ding mit dem Leben verbunden, war ein Teil der lebendigen Natur, ein Teil eigenen Lebens in der Natur“, schrieb Nils-Aslak Valkeapää in seinem Text „Kunst, um Leute aufmerksam zu machen“ über die Wesenszüge der samischen Kultur, in der es zwischen Kunst und Alltag keine Trennung gab. So erweist sich der „Joik“, der in der samischen Musiktradition eine zentrale Stellung einnimmt, als Teil eines besonderen Kommunikationssystems. Im Artikel „Die Musik der Samen“ aus dem Band "Musikgeschichte Europas", hg. v. Greger Andersson, Stuttgart und Weimar 2001, S. 183 heißt es zum „Joik“:

„Charakteristisch ist sein symbolischer Bezug auf etwas Konkretes, in der Regel eine Person. Die Melodie fungiert dabei als eine Wiedererkennungsmelodie für diese Person. Sie kommt einer musikalischen Signatur gleich, mittels derer der Sänger auf einer fiktiven Gefühlsebene Kontakt zu der Person aufnimmt. Dieser persönliche Bezug kann einer Melodie niemals einfach hinzugefügt oder weggenommen werden. Die Menschen kennen sowohl die Person, die „gejoikt“ wird, als auch deren Melodie. (Man joikt nicht über eine Person, sondern „joikt die Person“.) Dasselbe gilt auch für andere Bezugsobjekte wie z.B. Tiere oder Orte. In diesem Zusammenhang erscheint es auch weniger wichtig, wer eine bestimmte Joik-Melodie erfunden hat, sondern vielmehr, zu wem oder wozu sie gehört. Die übliche Klassifizierung besteht darin, dass man den Joik vor dem Hintergrund der Bezugsobjekte rubriziert. So gesehen gibt es eine Untergliederung in Personen-Joiks, Tier-Joiks, Natur-Joiks usw. Diese Gruppen können wieder in Untergruppen aufgeteilt werden. Im Joik werden zwei unterschiedliche Textformen angewendet: Bei der ersten Form basiert ein Lauttext auf Ketten variabler und damit sinnfreier Lautsilben. Bei der zweiten Form werden einzelne oder mehrere Schlüsselwörter bzw. –sätze verwendet.“

Der „Silbenmusik“ der Samen, die in verschiedenen samischen Gruppen ganz unterschiedlich praktiziert wurde und durch Interpreten wie Nils-Aslak Valkeapää, Mari Boine und Wimme Saari in den vergangenen Jahren in neuer Form zur Darstellung gelangte, sollen aber nicht nur verschiedene Textformen des „Joik“ in den deutschen Übertragungen von H. U. Schwaar gegenübergestellt werden sondern auch Lyrik der samischen Dichterin Rauni Magga Lukkari (Übersetzung: Manfred Munsel) sowie Ausschnitte aus Texten von Verfassern, die den manchmal mehr und manchmal weniger geglückten Versuch unternommen haben, dem Phänomen des „Joik“ auf die Spur zu kommen.

Dr. Christa Jost ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Richard Wagner-Gesamtausgabe und Lehrbeauftragte am Musikwissenschaftlichen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität, München.

Montag, 13. Dezember 2004 - 20:00 Uhr

 
Letzte Änderung: 10.04.2022
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